© Jan-Christoph Schultchen

Zu Fuß nach Föhr!

Wattwanderung zur Insel Föhr

Eine Wattwanderung gehört während eines Urlaubes an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins unbedingt dazu, schließlich ist das Wattenmeer weltweit einmalig. Jede Wanderung auf dem Meeresboden ist ein Erlebnis und jedes Mal gibt es etwas Neues zu bestaunen, zu erleben, zu lernen. Wattwanderungen gibt es für jeden Anspruch und für jede Kondition. Die Tour vom Festland bei Südwesthörn zur Insel Föhr ist ein ganz besonderes Wattwandererlebnis. Und zwar deshalb:

  • sie hat ein Ziel: die Insel Föhr
  • sie gehört zu den "Großen" und ist damit ein echtes Abenteuer, weit weg vom Rest der Welt
  • machbar für Leute mit normaler Kondition und auch für Kinder ab 9 Jahren, Dauer der Wanderung insgesamt ca. 3 bis 3,5 Stunden (ohne Transfers)
  • sie führt hauptsächlich über gut zu gehendes, festes Sandwatt
  • es gibt nur wenig Muschelbänke
  • sie führt durch verschiedene Landschaften, z.B. Marsch, Salzwiesen und Lahnungsfelder, so lernt man die typischen Lebensräume der Nordsee in ihrem Zusammenhang kennen
  • die Beobachtungsmöglichkeiten (mit Glück!) für sind Tiere besonders vielfältig; z.B. Feldlerche über der Marsch und der Salzwiese und Seehund auf der Rückfahrt mit der Fähre
  • machbar (Wattwanderung/Fähre) an einem Tag von Föhr bzw. vom Festland
  • trotz der Länge ist Zeit für naturpädagogische Themen: das Leben im Watt mit Wattwurm, Krabbe und Co. wird erklärt

 

Reportage

Die Gruppe steht auf dem Deich bei Südwesthörn und blickt auf die Insel Föhr in der Ferne. Es ist gut zwei Stunden vor Niedrigwasser und riesige Wattbereiche sind bereits trockengefallen, letzte Wasserflächen glitzern unter der Sommersonne. Hinter uns die Marsch, vor uns die Unendlichkeit. Die Insel Föhr so weit weg unter dem Horizont - und dorthin sollen wir, wollen wir jetzt zu Fuß?

Von vorn weht ein kräftiger Wind, schiebt Wolkenbank um Wolkenbank vorüber, Vogelstimmen wehen vorüber. Wattführerin Regina Matthiesen erklärt den Weg. "Zuerst gehen wir über die Salzwiesen, dann queren wir das Lahnungsfeld - und dann sind wir im Watt. Die reine Wattstrecke beträgt ungefähr zehn Kilometer. Unser Ziel ist die alte Vogelkoje bei Oevenum auf Föhr. Also los", sagt sie, "...das Meer wartet nicht!" Je tiefer wir vom Deich hinabsteigen, desto weiter weg scheint Föhr zu rücken.

"Die Salzwiesen werden regelmäßig bei Sturmfluten überschwemmt", erklärt Regina Matthiesen, "deshalb gibt es hier eine ganz spezielle Pflanzenwelt." Sie kniet sich hin und pflückt einen fleischigen Stängel. "Probiert das mal!" Wir probieren das mal. Es schmeckt säuerlich - und es schmeckt salzig; nicht schlecht. "Das ist Queller, man kann ihn essen. Als Salat oder gebraten mit Nudeln." Die Welt wird mit jedem Schritt wundersamer.

Und der Boden wird zunehmend schmieriger, statt Grün bestimmt nun Grau in allen Nuancen das Bild. Wir haben die Salzwiese verlassen und erreichen das Lahnungsfeld. Die Welt ändert sich langsam, mehr und mehr Wasser, immer häufiger schmatzen die Schritte. Der Übergang vom Land zum Meer ist unscharf, verschwommen im wahren Wortsinn. Die Landschaft ist amphibisch geworden. Nicht mehr Land, noch nicht Meer. Und eben dies ist das Besondere an dieser Wanderung, man erlebt diesen allmählichen Übergang.

Die Gruppe erreicht geometrische Reihen, das Lahnungsfeld: Lahnungen sind Holzpfosten, zwischen denen Reisig gestopft wurde, sie stehen im Quadrat als allerletzte Bastion zwischen Land und Nordsee. Von Festland ist längst keine Rede mehr, knöcheltief sinken die Schritte in den feinen Matsch auf dem Weg entlang der Holzpfostenreihe. Zwischen den Lahnungen kommt das Wasser zur Ruhe, dann können sich die feinen Sedimente absetzen. Wir klettern vorsichtig über die letzte Lahnung - und stehen vor dem Watt. Austernfischer und Rotschenkel, Vögel, sind mit der Futtersuche beschäftigt.

Bis zum ersten Priel geht es kurz durch diesen knöcheltiefen Schlick und nachdem wir diesen ersten "Fluss auf dem Meeresboden" durchquert haben, wird das Watt fest. "Wir sind jetzt auf dem Sandwatt und auf den kommenden zehn Kilometern wird sich das auch kaum ändern", erklärt sie. Nun sind wir endgültig vom Festland losgelöst. Die Direkte vom Festland nach Föhr kann man nicht nehmen, das Watt ist durchzogen von Prielen, die an vielen Stellen viel zu tief sind, um sie zu durchwaten. Deshalb laufen wir in einem Bogen.

Die Wattführerin läuft mit geschultertem Spaten voran. Doch auch dieses Watt ist von Prielen durchzogen, wird zwei Mal am Tag überflutet. Kaum vorstellbar, dass hier bei Hochwasser rund zweieinhalb Meter Wasser stehen. Und kaum zu fassen auch dies: Regina Matthiesen geht zu einer seltsamen dunklen Placke, die auf dem sonst sauberen, sandigen Watt liegt. Sie hebt das Stück hoch. "Das ist Torf“, erklärt sie, und puhlt Pflanzenreste heraus, "und das hier war mal Schilf."

Vor den beiden großen Manndränken, mörderischen Sturmfluten im Mittelalter, war dies festes Land. Sie zeigt die Zeugen des Untergangs herum und wir staunen still und voller Respekt vor dieser Umgebung, wo der Mensch nur Gast für kurze Zeit ist. Hatte sie nicht eben erklärt, dass die Salzwiesen immer noch bis zu 180 Mal im Jahr überschwemmt werden? Das Land ist im Werden, das Land ist im Vergehen. Und mittendrin die kleine Gruppe auf dem Weg von Irgendwo nach Nirgendwo. Nur mit dem Fernglas sind die Landmarken zu erkennen. Föhr scheint wie eine ferne Illusion über dem Horizont zu schweben. Föhr, das wirkt auf uns wie eine Fata Morgana.

Ein gelber Regenmantel kontrastiert vor bleigrauem Himmel. Sonne und Wolken wechseln sich rasend schnell ab. Mal glänzen die Sandrippel unter Wasser wie Gold, dann wieder – im Wolkenschatten – liegt das Wasser grau und unergründlich unter dem hohen Himmel. Immer wieder marschieren wir durch knöcheltiefes Wasser; es spritzt und glitzert bei jedem Schritt. Regina Matthiesen hält immer wieder an - Wattenkunde: Gräbt neben dem typischen Sandhäufchen auf dem Wattboden den obligatorischen Wattwurm aus und erläutert: „Die `Sandspaghettihaufen´ sind seine Ausscheidungen. Der Wurm frisst den Sand, kann die organischen Stoffe herausfiltern und ernährt sich so von den Kleinstlebewesen darin“. Sie zeigt Sandklaffmuscheln, reicht große Schnecken und kleine Krebse herum. Wir erreichen nach gut anderthalb Stunden den tiefsten Punkt unserer Reise:

Mehrere Meter hoch ragen seltsame kahle dünne Stämmchen in den Himmel. "Das sind Pricken", erklärt Regina Matthiesen, "sie markieren einen Schifffahrtsweg." Und wir stehen am Straßenrand, vor uns liegt der große Priel. „Die Priele verändern ständig ihren Lauf. Gerade nach dem Winter weiß man nicht, wo sie verlaufen und vor allem wie tief die Winterfluten sie ausgefräst haben." Wir sollen warten, Regina schaut sich um. Blickt auf den Verlauf des Wassers, das noch immer mit einem unheimlichen Sog der Nordsee hinterhereilt. Es ist kurz nach 13 Uhr. Sie blickt auf die Uhr. Noch ist nicht Niedrigwasser. Es ist der "Point of no return".

Das wissen wir noch nicht und beobachten einstweilen Möwen, die auf dem trockengefallenen Meeresboden nach Nahrung suchen. Regina sucht auch noch. Und zwar den passenden Einstieg zur Querung dieses größten Priels auf unserer Tour. Der Wind hat zugenommen auf Stärke fünf bis sechs und das Wasser im Priel ist kabbelig. 13 Uhr 18, wir sollen queren. "Es ist noch immer ablaufendes Wasser. Nach Niedrigwasser dürfen wir nicht mehr durch diesen Priel. Dann läuft von Wyk aus das Hochwasser ein. Aber wir liegen sehr gut in der Zeit." Regina weist den Weg "...und drüben machen wir dann Pause!"

Ermunterung tut Not, denn inzwischen haben Wolken den Himmel erneut verdunkelt. Und wer fröstelt nur deswegen? Ein paar Mutige - Mann wie Frau - wagen die ersten Schritte und ziehen die kurzen Hosen so hoch es geht und auch der Größte in der Gruppe kriegt sie naß. Im Schleichschritt voran und immer in der Hoffnung, es geht bergauf. Man spürt die Strömung des ablaufenden Wassers und sieht die Sandbänke voraus als die erste, echte Etappe. Geschafft. Oben auf der Sandbank können wir Föhr wiedersehen. Wir essen Brote, Regina peilt die Richtung. "Anderthalb Stunden ab jetzt", sagt sie. War das der letzte Priel? "Nein, und direkt vor Föhr ist noch ein größerer."

Wir gehen über die Sandbank Richtung Oevenum, längst heißt es nicht mehr nur "Föhr", die Landmarken haben inzwischen Namen. Ist das nicht ....? Da vorn, das ist doch...? Ist das schon Vorfreude? Allmählich ist es Ankommen. Schien bis zum großen Priel alles zum Festland gewandt und die Insel abstrakt in der Ferne, orientiert sich nun alles auf Föhr. Auch die Sonne ist wieder da und die große, dunkle Wolkenbank zog mit den Schauern an uns vorbei. Kleine Priele fließen über niedrige Ebenen und glitzern in der Sonne, Sandbänke funkeln wie Gold. Ohnehin glänzt und schimmert das Wasser mal grün, mal blau, fast so wie in der Karibik.

Föhr liegt inzwischen deutlich in Sichtweite und es beginnt das Suchen für den Ausstieg. Wir werden langsamer, biegen ab und Regina sucht wieder nach der richtigen Route. Es ist immer anders und es scheint, als ob der Meeresboden - wir wanderten über Ebenen und sachte Bänke - vor der Insel abfällt. Mehr und mehr Priele laufen vor uns; die ersten flach und kaum als solche zu erkennen. Doch nun bekommen sie definierte Ufer, Prallhang, Gleithang, strömendes Wasser. Föhr liegt zum Greifen nah, ein paar hundert Meter entfernt nur. Doch wir drehen wieder ab.

Wirkten die Priele bislang eher wie flache Tümpel und waren kaum als solche zu erkennen, wird die Welt nun wilder und wüster. Knietief sind die Rinnen inzwischen wieder, und es werden mehr. Der Meeresboden nimmt deutlicher Gestalt an, ein Zeichen für die gewaltigen Kräfte von Ebbe und Flut. Die Sandbänke – bislang flach und ebenfalls kaum als solche zu erkennen – sind erheblich konturierter; einen, zwei Meter hoch und deutlich zum Priel abfallend. Inseln stehen im Wasser; von Muscheln belegt, von Seegras bewachsen. Es ist strömender statt still.

Das gegenseitige Ufer dieses Priels ist von Borstenhaaralgen so dicht bewachsen, dass es erscheint wie ein Teppich. Vor uns erhebt sich eine Sandbank, dann wieder strömen kleine Priele vorbei. Es ist eine verworrene und verwunschene Welt, sie ist fremd und wundersam. Und als die ersten Holzreihen aus dem Schlick auftauchen, weiß der Kundige längst Bescheid: Land nicht nur in Sicht, sondern auch unter den Füßen! Oder doch nicht? "Stopp, sofort zurück!" Ruft Regina, als jemand quer durchs Lahnungsfeld ans Ufer will. Der Schlick darin ist tief. Wie tief, dass will sie gar nicht wissen. Und erst recht nicht Leute rausziehen müssen. Immer schön an den Holzpfosten lang, mal kreuz, mal quer, knöcheltief. Und dann treten wir auf festen Grund. Ankommen auf Föhr. Mal anders.

Mehr Informationen zur Wattwanderung von Südwesthörn nach Föhr und dem Reisen unter www.wattwandererlebnis.de. Weitere Naturerlebnisse und Wattwanderungen unter www.nordseetourismus.de/naturveranstaltungen.

 

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